Zum Inhalt springen

Buchautor Lahm Löws Ghostwriter

Viel Lärm um wenig: Philipp Lahm muss nach den Veröffentlichungen aus seinem Buch keine Konsequenzen des DFB fürchten. Warum auch? Der Kapitän der Nationalmannschaft hat doch nur aufgeschrieben, was seit Jahren die offizielle Linie des Bundestrainers ist.
Kapitän Lahm, Trainer Löw: Teil desselben Systems

Kapitän Lahm, Trainer Löw: Teil desselben Systems

Foto: Alex Grimm/ Bongarts/Getty Images

Man muss sich noch einmal erinnern, wie es im Herbst 2009 war. Philipp Lahm hatte in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" die Vereinsführung seines Clubs FC Bayern München angegriffen. Es gab daraufhin ein gewaltiges öffentliches Bohei, dem Spieler wurden massive Konsequenzen angedroht, er kassierte eine saftige Geldstrafe. Ein Jahr später war Lahm Kapitän des Rekordmeisters.

Die Ereignisse der vergangenen Tage wirken wie ein Remake des Ganzen. Die "Bild"-Zeitung veröffentlicht Auszüge aus Lahms Buch "Der feine Unterschied", in dem der Bayern-Spieler en detail die fachlichen Defizite in der Trainingsarbeit seiner früheren Coaches Felix Magath, Jürgen Klinsmann und Rudi Völler verbreitet. Wieder herrscht helle Aufregung, es gibt Spekulationen darüber, Lahm könne die Kapitänsbinde der Nationalmannschaft weggenommen werden. Am Ende wird ein klärendes Gespräch mit dem Bundestrainer und dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) vereinbart. Und Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff sagt: "Es war für uns zu keinem Zeitpunkt ein Thema, Philipp als Kapitän abzusetzen."

Mit anderen Worten: Es passiert nichts, Konsequenzen gibt es keine. Und das ist genau das, was dem DFB auch am genehmsten ist. Bezeichnend ist zudem, dass der Verband die Aussagen seiner Führungskräfte per schriftlicher Mitteilung darbrachte.

Der Spieler selbst hat artig ein paar relativierende Floskeln in Richtung Klinsmann und Völler gerichtet, um die Wogen zu glätten. Seine Kritik an deren Arbeit ("Wenig trainiert und keine Ahnung von Taktik") hat Lahm mit keinem Wort zurückgenommen.

Lahms Äußerungen sind längst Allgemeingut

Warum auch? Lahm hat schließlich lediglich Altbekanntes in Buchform gebracht. Beispiel Rudi Völler, um denjenigen zu nennen, der sich am heftigsten gegen Lahms Äußerungen gewehrt hat. Dass Völler als Bundestrainer nicht zu den innovativsten zählte, dass sein Team einen Fußball exekutierte, der mit der heutigen Art zu spielen nichts gemein hat, ist mittlerweile Allgemeingut. Völler ist 2002 mit der DFB-Elf dank einer glücklichen Auslosung, eines überragenden Torwarts und der brachialen Einzelleistung eines Michael Ballack ins WM-Finale eingezogen. Unter Völler gab es einen 1:0-Fußball, der zwei Jahre später bei der Europameisterschaft mit dem Vorrunden-Aus die gerechte Strafe erhielt.

Lahm beschreibt darüber hinaus in seinem Buch die Taktikdefizite Jürgen Klinsmanns; er plaudert darüber, dass Louis van Gaal für Anregungen von außen nicht zugänglich war; und er erwähnt Magaths eindimensionalen Motivationsstil: ständiger Druck auf Spieler, sonst nichts. All dies ist bereits ausgiebig angemerkt worden.

Dass ein Spieler öffentlich Kritik äußert, der noch im aktuellen Ligabetrieb steht, hat viele aus dem Establishment der Bundesliga alarmiert - auch nicht direkt Betroffene wie Hoffenheim-Coach Holger Stanislawski oder Werder-Geschäftsführer Klaus Allofs. Die Vertraulichkeit im Profifußball stehe auf dem Spiel, so ihre Sorge. Vom Tabubruch war die Rede. Dass Spieler gegenüber Journalisten Interna ausplaudern, ist allerdings seit Jahrzehnten Alltag in der Branche. Das regt niemanden mehr auf. Lothar Matthäus hatte in seiner aktiven Zeit zuweilen nichts besseres zu tun, als Reportern sämtliche Details aus der Umkleidekabine brühwarm zu berichten.

Bestrafung des Kapitäns wäre absurd gewesen

Letztlich hat Lahm mit seinem Buch eine Art Auftragsarbeit für den Bundestrainer und den DFB abgeliefert. Alles, was der Kapitän der Nationalmannschaft kritisiert, ist im Grunde eine Argumentation pro Löw: für dessen Fokus auf junge Spieler, für dessen von vielen Altvorderen als rüde empfundene Ausbootung der Recken Torsten Frings und Michael Ballack, für dessen Spielphilosophie.

Auch deswegen fiel die Reaktion des DFB derart wachsweich aus. Lahm hat Löws Arbeit erledigt, er hat sie publizistisch unterfüttert. Eine Bestrafung des Kapitäns durch den DFB wäre daher auch eine absurde Reaktion gewesen. Es soll doch niemand ernsthaft glauben, beim Deutschen Fußball-Bund und bei Bayern München habe keiner gewusst, was Lahm in dem Buch zu schreiben gedenke. Bayern-Coach Jupp Heynckes hat am Freitag bestätigt, dass der Club "das Buch im Vorfeld gegengecheckt" habe. Man wusste Bescheid, und man war einverstanden. Es trifft schließlich aus ihrer Sicht die richtigen Leute. Angriffe auf Klinsmann und van Gaal? Bayern-Präsident Uli Hoeneß, der beide vom Hof gejagt hat, wird diese Passagen ausnehmend gerne lesen.

Löw und Bierhoff haben die Nationalmannschaft zu einem eigenen Machtzentrum innerhalb des deutschen Fußballs ausgebaut. Dazu gehört auch, sich von den strukturkonservativen Kräften abzugrenzen, diese, wenn es angebracht scheint, auch frontal anzugehen. Lahm ist Teil des Systems Löw, mit dem System Völler gibt es keine Schnittmengen.

Ob es guter Stil ist, als leitender Angestellter ein Buch zu veröffentlichen, in dem auf Kosten anderer das Hohelied der eigenen beiden Arbeitgeber gesungen wird - das ist eine ganz andere Frage.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.