Alles außer Kontrolle

Die Websites deutscher Verbände stecken vielfach voller technischer Fehler und funktionaler Defizite, die kommunikative Reichweite kosten und damit den Erfolg der Verbandskommunikation schwächen. Dabei ließen sich viele solcher Probleme mit ein paar einfachen Regeln im Projektmanagement vermeiden – zumeist sogar ohne Mehrkosten.

Wenn man die Homepages der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften oder der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände aufruft, ist es schon ein wenig Glücksache, ob man mit jedem Browser wirklich etwas zu sehen bekommt. Denn in allen drei Fällen sendet die Website zunächst HTML-Code zurück, der dem Browser eine andere, jeweils längere Adresse der Homepage mitteilt – eine Umleitung dorthin, wo sich tatsächlich Inhalte befinden.

Nur: Die programmiertechnische Methode dieser Browserumleitung ist veraltet. Sie wurde vom W3-Konsortium, der Normungsorganisation für Internettechnologien, bereits im November 2000 – also vor anderthalb Jahrzehnten – als obsolet eingestuft. Dass alle Browser neuester Gerätetypen sich mit der missbilligten Methode umleiten lassen, ist daher immer weniger gewiss, zumal die meisten Browser die fragwürdige Funktion aus Sicherheitsgründen zu blockieren erlauben. Noch riskanter für die Websitebetreiber ist aber: Suchmaschinen dürften in der aus mehreren Gründen problematischen Weiterleitungsmethode einen Grund sehen, solche Websites in den Suchergebnisseiten weiter hinten zu platzieren. So warnen jedenfalls Fachleute für Suchmaschinenoptimierung.

Abbildung: “HTML Techniques for Web Content Accessibility Guidelines 1.0” des W3-Konsortiums vom 6. November 2000

Wenn man sich auf dem Laufenden darüber halten möchte, ob der Zentralverband des Deutschen Handwerks oder der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband neue Artikel auf ihren Websites eingestellt haben, wird man eine der dafür gebräuchlichsten Funktionen vergeblich suchen, über die nahezu jedes noch so simple Blog heutzutage verfügt – nämlich einen RSS-Feed. RSS ist ein Dienst, der Abonnenten automatisch auf neue Inhalte hinweist, ohne dass man dafür die entsprechende Website besuchen muss.

Während ZDH und Dehoga darauf schlicht und einfach verzichten, hat der Bundesverband der Deutschen Industrie zwar einen RSS-Feed auf seiner Website, nur wird die Suche danach schwierig. Denn die Programmierer haben vergessen, eine simple Zeile HTML-Code einzufügen, mit der moderne Browser das Vorhandensein eines RSS-Feeds erkennen und dem Nutzer anzeigen können. Man muss daher beim BDI schon auf den entsprechenden Texthinweis stoßen, der sich weit unten auf der Seite befindet. Und auch dann ist unproblematischer Genuss des RSS-Feeds nicht garantiert, denn der BDI-Feed ist technisch fehlerhaft programmiert, wie sich mit einem vom W3-Konsortium online gestellten Tool einfach ermitteln lässt (http://validator.w3.org/feed/).

Fehlerhafte Programmierung bei RSS ist im Verbändewesen weit verbreitet: Weder beim Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein, noch beim Bundesverband Mittelständische Wirtschaft, beim VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik oder bei der IG Metall ist das W3-Tool mit dem RSS-Feed zufrieden. Und das ist Normalität: In einer Untersuchung von 1.768 in der Lobbyliste des Bundestages registrierten Organisationen der politischen Interessenvertretung mit einer eigenen Website hatten im Jahr 2011 gerade einmal 7,8 Prozent der Websites einen brauchbaren, technisch korrekt umgesetzten RSS-Feed.

Will man eine Pressemitteilung von der Website des Deutschen Bibliotheksverbands auf Facebook teilen, also seinen eigenen Kontakten zum Lesen empfehlen, hat man ein kleines Problem: Facebook sieht sich außer Stande, einen hübschen, mit adäquatem Anrisstext versehenen “Teaser” zu erzeugen. Der Facebook-User, der etwas teilen möchte, muss die Inhaltsangabe also selbst formulieren oder zumindest umständlich aus dem Artikel heraus kopieren. Grund ist, dass die Website des Bibliotheksverbands keine sogenannten Meta-Tags besitzt, aus denen Facebook die notwendigen Inhalte für den Teaser gewinnen kann. Das ist übrigens beim Teilen von Artikeln des Bundesverbands Deutscher Stiftungen oder des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen nicht anders. Empfehlungen ihrer Onlineartikel in Sozialen Netzwerken schätzen wohl die meisten Verbände, aber nur geschätzt 10 Prozent der Websites im deutschen Verbandswesens setzen die von Facebook dafür vorgesehenen “Open-Graph-Tags” technisch korrekt.

Abbildungen: Die Nachricht des Bundesverbands Deutscher Stiftungen über Bewerbungen zum Zukunftsforum Türkei wird von Facebook nicht korrekt dargestellt, weil die Social-Media-Tags nicht gesetzt sind.

Eine Stichprobe lässt das Ausmaß unzulänglicher Programmierung erahnen: Das W3-Konsortium stellt neben dem schon erwähnten Testtool ein weiteres bereit, um den HTML-Code von Websites zu testen (http://validator.w3.org/). Von den 35 (gemessen am Google PageRank) wichtigsten Internetauftritten aller Organisationen aus der Lobbyliste des Bundestages fallen dort 33 durch, nur die des Deutschen Instituts für Normung und jene des Verbands der Studentwerke sind fehlerfrei. Immerhin 20 der Websites weisen sogar eine zweistellige Zahl von Programmierfehlern im HTML-Code auf, wie etwa jene des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels oder des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger. Dies bedeutet zwar in aller Regel nicht, dass die Website in üblichen Browsern nicht zu lesen ist; aber prinzipiell besteht bei solchen – völlig überflüssigen – Fehlern die Gefahr von Darstellungs- oder Funktionsmängeln, wenn der Browser fehlerhaftes HTML nicht “versteht”.

Die meisten beschriebenen Mängel kosten die Websites zwangsläufig Besucherverkehr und schwächen daher die kommunikative Reichweite des jeweiligen Verbandes. Dabei wären die Fehler und Schwächen in aller Regel vergleichsweise einfach und ohne große Kosten zu beseitigen. Vor allem aber: Eigentlich hätten sie gar nicht auftreten müssen!

Denn: Wer kontrolliert eigentlich Entwickler, wenn sie Websites für Verbände programmieren? Die Antwort lautet erstaunlicherweise fast immer: Die Entwickler kontrollieren sich selbst!

Wenn nämlich die technischen Details eines Website-Projekts festgelegt werden, ist der Auftrag normalerweise bereits vergeben – entweder an eine “Hausagentur” oder aber an eine Agentur, die im Wettbewerb mit anderen bei einem Pitch die schönsten Entwürfe gezeigt hat. Die Agentur schreibt dann nach der Vergabe ein Konzept und legt darin – als Berater – die technischen Anforderungen fest, die sie hernach – als Auftragnehmer – ausführt.

Dies führt zu einem Interessenkonflikt: Zum einen besteht das ökonomische Interesse der Agentur als Auftragnehmer nach der Auftragsvergabe nicht mehr in einem möglichst wettbewerbsfähigen Leistungsumfang, sondern – zumindest, sofern der Preis bereits feststeht – tendenziell in einem möglichst geringen Aufwand. Zum anderen ist der Auftragnehmer aus ökonomischem Eigeninteresse gezwungen, sich dem Wissensniveau des Auftraggebers anzupassen, den er eigentlich möglichst professionell beraten soll. Designfragen rücken in den Vordergrund, während die technische Funktionalität, von der der Auftraggeber meist weniger versteht, tendenziell ausgeblendet wird. Der Agenturmitarbeiter kann beim Hauptgeschäftsführer eines Verbands mit einem guten Design wohl glänzen, mit Details zu Normen des W3-Konsortiums, zu RSS und OpenGraph-Tags wird das hingegen schwer.

Wie unglücklich aus kaufmännischer Sicht eine solche, bei Verbänden weitverbreitete Vergabestrategie ist, wird plastisch, wenn man sie mit dem Vorgehen der öffentlichen Hand vergleicht: Dort ist es bei IT-Projekten üblich, dass zunächst ein so genannter Projektant gemeinsam mit dem Auftraggeber die technischen Anforderungen eines Projekts definiert – in der Regel für die nachfolgende Ausschreibung der eigentlichen Leistungen. So hat beispielsweise die vom Bund getragene Alexander-von-Humboldt-Stiftung die kürzlich durchgeführte Ausschreibung zum Relaunch ihrer Website in vier Lose aufgeteilt, von denen das erste ausschließlich Beratungsleistung bei der Ausschreibung der anderen Lose beinhaltete. Um Interessenkonflikten vorzubeugen, hieß es in der Ausschreibung zu Los 1: “Es wird vorausgesetzt, dass keine Eigenbewerbung für diese Dienstleistungen (Lose 2, 3 und 4 des Gesamtprojekts) erfolgt.”

Abbildung: Humboldt-Stiftung: Ausschreibung mit getrennter Projektierung

“Projektantenproblematik” nennen Juristen das Risiko, dass ein Projektant bei der Definition technischer Anforderungen für ein Projekt illegitime Eigeninteressen verfolgen könnte. Denn da er potenziell auf Kriterien für das spätere Vergabeverfahren Einfluss nimmt, kann er theoretisch sich oder mit ihm verbundenen Unternehmen Vorteile verschaffen. Im Zweifel wird daher seine Teilnahme, etwa wie im zuvor genannten Beispiel, am weiteren Bieterverfahren ausgeschlossen (vgl. Ohle/von dem Bussche).

Eines ist übrigens im öffentlichen Vergaberecht völlig ausgeschlossen: Nämlich dass ein Projektant nicht nur vorab berät, sondern zudem persönlich an der Entscheidung in einem Vergabeverfahren mitwirkt, in dem er selbst auch Anbieter ist. Das untersagt § 16 der Vergabeverordnung für alle Ausschreibungen der öffentlichen Hand ganz grundsätzlich. Sonst könnte der Projektant ja darauf hinwirken, dass er selbst den Zuschlag erhält – und zwar auch dann, wenn er nicht das beste Angebot vorgelegt hat.

Ziemlich ähnlich ist der Fall jedoch bei vielen Internetprojekten von Verbänden gelagert. Ob der Auftragnehmer nämlich das beste Angebot aller potenziell in Frage kommenden Anbieter macht, bleibt völlig offen. Denn die beauftragte Agentur wird erst nach der Auftragsvergabe zum Projektanten gemacht und legt nun den zu Angebot und Auftrag gehörenden Leistungsumfang im Nachhinein selbst fest. Es gibt somit keinen realistischen Wettbewerb, eine qualifizierte Ausschreibung wird ausgehebelt.

Dem Interessenkonflikt kann der Auftraggeber nur entgehen, indem er zunächst seine Spezifikationen für den Auftrag so genau wie eben möglich festlegt, und zwar in einem so genannten “Lastenheft” – gegebenenfalls mit Hilfe eines externen Projektanten. Das Lastenheft setzt die kommunikativen Anforderungen an den Webauftritt in funktionale und technische Anforderungen um. Mit ihm lässt sich eine Ausschreibung für alle weiteren Arbeiten durchführen, bei der es Interesse aller Anbieter sein wird, möglichst leistungsstarke Angebote vorzulegen.

Nach der Auftragsvergabe verfasst der Auftragnehmer ein so genanntes “Pflichtenheft”. Darin legt er weitere technische Details der Umsetzung dar. Er hat sich dabei aber an das Lastenheft mit allen darin beschriebenen Funktionen und Spezifikationen der Website zu halten und kann den Leistungsumfang nicht mehr einseitig reduzieren.

Grundregel sollte also immer die komplementäre Darstellung des Projekts in einem Lasten- und einem Pflichtenheft sein. Der Projektant und der Auftragnehmer sollten zudem unbedingt unabhängig voneinander sein. Nur so sind Interessenkonflikte weitestgehend auszuschließen. Und nur so kann sichergestellt werden, dass die Website eines Verbands nicht im Hinblick auf wesentliche kommunikativen Aufgaben scheitert.

Gelegentlich werden sich Projektant und Verband wegen hohen Kostenaufwandes nicht auf die komfortabelsten Funktionen festlegen. So erhöht beispielsweise die Verwendung der Programmiersprache Javascript oft die Benutzerfreundlichkeit bestimmter Funktionen einer Website – aber nur, sofern der Browser des Besuchers Javascript auch aktiviert hat. Für die wenigen User, die Javascript aus Sicherheitsgründen deaktiviert haben, wird die Website dadurch hingegen teilweise unbrauchbar – sofern für solche Besucher nicht eine eigene Funktionalität programmiert worden ist, die Javascript umgeht. Unter Umständen mag dem Auftraggeber solch Programmierarbeit für wenige Nutzer zu teuer sein, und er verzichtet bewusst darauf.

Die Webpräsenz des Bundesverbands Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau ist jedoch ein Musterbeispiel dafür, dass diese Abwägung oft nicht sachgerecht getroffen wird. Die Website hat ein modernes “One-Page-Design”, dessen schicke Bewegungseffekte nur mit Javascript funktionieren. Dass Besucher mit deaktiviertem Javascript jedoch die Startseite ohne das dominierende Foto und stattdessen mit verwirrendem HTML-Code zu sehen bekommen, ist ein grober Mangel. Denn es wäre ohne Aufwand möglich und ist technisch geboten, in solchen Fällen einen Hinweistext zu zeigen – mit der Bitte an den Nutzer, doch Javascript zu aktivieren, damit die Website funktioniert. Mit einem solchen Hinweis hätte man zudem Besuchern geholfen, die beim Ausdrucken von Dokumenten scheitern – weil die Drucker-Buttons wegen deaktiviertem Javascript funktionslos geworden sind.

Abbildungen: Die Homepage des Bundesverbands Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau mit ein- und mit abgeschaltetem Javascript

Völlig konträr zu den Interessen der Verbandskommunikation dürfte auch sein, dass viele Verbandswebsites nicht auf Smartphones angepasst sind. So haben beispielsweise der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und der Verband der Chemischen Industrie noch in den letzten beiden Jahren das Design ihrer Websites überarbeitet, ohne dabei für mobile Endgeräte optimierte Seiten einzurichten. Zu diesem Zeitpunkt nutzten laut der Initiative D21 bereits 40 Prozent der Deutschen mobile Endgeräte für den Zugang zum Internet.

Hinweis: Die dokumentierten Mängel der Websites von Verbänden wurden, soweit nicht anders angegeben, in der zweiten Februarhälfte 2015 ermittelt und Anfang Mai 2015 erneut dokumentiert. Möglicherweise wurden sie seitdem behoben.