Relaunch einer Verbandswebsite: Ist „zeitgemäß“​ noch zeitgemäß?

Wenn Verbände eine Anforderungsbeschreibung für den Relaunch ihrer Verbandswebsite formulieren, heißt es oft: Die neue Website soll “zeitgemäß” sein. Sehr oft wird auch explizit “ein Webdesigner” gesucht.

Eine schicke Website haben zu wollen, ist ja nicht falsch. Aber wenn man ein Relaunch-Projekt so angeht, ist schon von Beginn an der Wurm drin. Und die Website wird im Hinblick auf erfolgreiche Verbandskommunikation nicht leisten, was sie leisten könnte (und sollte).

Wer es – so wie es für Verbände gilt – mit einer ganzen Reihe verschiedenster Zielgruppen zu tun hat, muss zuallererst Überlegungen anstellen, was diese Zielgruppen interessant genug finden, um die Website (bestenfalls: möglichst oft) zu besuchen. Wenn unter den Zielgruppen etwa sowohl Marketingfachleute als auch Juristen, Behörden und Verbraucher sind, werden die meisten dieser Websitebesucher vermutlich alles, was sich an die anderen Zielgruppen richtet, uninteressant finden – und deshalb womöglich bald wieder verschwinden. Die gesamte Struktur der Website sollte daher danach ausgerichtet sein, dass jede einzelne Zielgruppe möglichst primär das sieht, was für sie auch definitiv interessant (und vorgesehen) ist. “Ein Webdesigner” kann das in der Regel nur sehr schlecht einschätzen. Vor Beginn der grafischen Gestaltung empfiehlt es sich deshalb phänotypische Zielgruppenbeschreibungen zu entwickeln, etwa in Form von sogenannten Personas​.

Personas entwickelt man meist zusammen mit sogenannten User Stories, in denen eine oder mehrere Interessenlagen einer Persona aus ihrer persönlichen Sicht antizipiert werden. User Stories bestehen aus einem einzigen Satz, wie etwa: „Als Parlamentarier möchte ich die Positionen der einschlägigen Verbände kennen, um an einer tragfähigen und nachhaltigen Gesetzgebung mitwirken zu können.“

Eine weitere Überlegung: Rund die Hälfte bis zwei Drittel der Nutzer von typischen Verbandswebsites kommen über Suchmaschinen. Diese Nutzer suchen nach bestimmten Begriffen (in der Sprache der Suchmaschinenexperten: Keywords). Welche Keywords die Zielgruppen eingeben, muss nicht unbedingt dem entsprechen, was der Verband im Zuge seiner Interessenvertretung publik machen möchte. Die Nutzer haben vielleicht Wissensfragen, sind aber an bestimmten politischen Forderungen des Verbands zunächst gar nicht interessiert. Es braucht also erst einmal Inhalte, die von den Zielgruppen gesucht und gefunden werden. Diese müssen dann ihrerseits – etwa mit einem Vorschaukästchen (einem Teaser​) – auf politische Forderungspapiere verlinken, damit auch diese möglichst gelesen werden. Die Struktur solcher Anwendungsfälle verschiedenster Art (Use Cases​) gibt ebenfalls viele Anforderungen an die Struktur der Website vor. Anforderungen, die der Webdesigner kaum kennen kann.

Etwa ein Drittel der Nutzer kann eine Verbandswebsite dadurch gewinnen, dass sie mit Newslettern und anderen Push-Diensten aktiv auf neue Inhalte hingeweist. Dies ist extrem wichtig, denn nur so kann der Verband die Reichweite einzelner Inhalte kurzfristig steuern (was politisch oft bedeutsam ist). Ein guter Webdesigner wird erkennen, dass der Zugang zum Abonnieren des Verbandsnewsletters nicht einzig in der zweiten oder dritten Ebene der Navigation verborgen werden darf (so wie es bei vielen Verbänden leider üblich ist). Viel wichtiger wäre es aber zu überlegen, welchen Zielgruppen man möglicherweise eigene, thematisch besonders zugeschnittene Newsletterangebote macht: Marketingfachleute, Juristen, Behörden und Verbraucher werden „für sie gemachte“ Newsletter deutlich häufiger abonnieren als „den Verbandsnewsletter“. Dies funktioniert umso eher, sofern diese spezifischen Newsletter dann noch assoziativ verlinkt werden: Unter einem etwaigen für Juristen interessanten Text sollte der „Juristen-Newsletter“ angeboten werden und unter einem für Verbraucher interessanten Inhalt hingegen der „Verbraucher-Newsletter“. Selbstverständlich stehen bei der Konzeption einer Website derartige Überlegungen zeitlich vor gestalterischen Fragen. Sie sind eindeutige Vorgaben für die Gestaltung.

Eine Verbandswebsite muss – um reichweitenstarke und schlagkräftige Interessenvertretung sicherzustellen – deshalb über den einzelnen Besuch des „Users“ hinaus planen: Wo kommt er her? Wie kommt er baldmöglichst wieder zurück? Hier ist das aus dem Marketing stammende Modell der User Journey ein geeignetes Instrument, um eine gut funktionierende Community aufzubauen, die es umgehend zur Kenntnis nimmt, wenn der Verband etwas zu sagen hat.

Die Entwicklung von Personas, User Stories, Use Cases, User Journeys und die Identifizierung von Keywords sind von herausragender Bedeutung für die Planung einer erfolgreichen Verbandswebsite. Diese einfach zu handhabenden Modelle bewirken, dass die neue Verbandswebsite maximale Reichweite erzielt, wenn der Verband es für geboten hält.

Erst dann kommt das Design.

Als Einstieg bietet sich ein kurzes Webinar an, das die Deutsche Gesellschaft für Verbandsmanagement regelmäßig veranstaltet (und das ich bestreite):
„Eine professionelle Verbands-Website umsetzen“ – Webinar am 9. März 2023 von 14:00 bis 16:00 Uhr:
https://www.verbaende.com/events/eine-professionelle-verbands-website-umsetzen-3048/