Die Organisationsprinzipien des Agilen Arbeitens können der Verbands-Kommunikation Flügel verleihen – und dem Verband politisch mehr Gewicht einbringen.
Die meisten Verbände haben in ihrer nach außen gerichteten Kommunikation vor allem folgende Ziele: Sie wollen als wichtiger Akteur wahrgenommen werden, wenn sich jemand einem ihrer Kernthemen annähert – also gut auffindbar und häufig sichtbar sein. Sie wollen zwecks wirksamer Interessenvertretung zudem auch in der Lage sein, andere Stakeholder, die Politik oder auch die Öffentlichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv auf ein Anliegen aufmerksam zu machen – sie müssen also mit entsprechend vielen potenziellen Adressaten vernetzt sein. Und nicht zuletzt wollen sie Mitglieder werben und müssen dafür Nicht-Mitgliedern beständig den Wert einer Mitgliedschaft vermitteln – also Nicht-Mitgliedern immer wieder hochwertige Inhalte zukommen lassen.
Auffindbarkeit über Suchmaschinen, Sichtbarkeit in Sozialen Netzwerken, Lead-Gewinnung und klug strukturierte Customer Journeys für das Mitglieder-Marketing sind mithin entscheidende Faktoren für die Online-Kommunikation von Verbänden.
Doch in der Praxis werden diese Ziele oft nicht in befriedigendem Maße erreicht:
- Viele Verbände gehen nicht wirksam dagegen an, dass sie mit den Suchbegriffen zu ihren wichtigsten Themen nicht bei Google gefunden werden.
- Es gibt eine erheblich Zahl von Verbänden, deren Bemühen darum, dass Stakeholder die Verbandsmedien abonnieren, nur wenig Erfolg zeitigt.
- Mancher Verband betreibt in Sozialen Medien hauptsächlich Broadcasting und verschenkt wichtige Möglichkeiten zur Vernetzung.
- Vielfach reizen Verbände ihre Möglichkeiten, mit ihrer Website Reichweite zu machen, erkennbar nicht aus.
- Zu oft fällt Verbänden für eine Kampagne zur Erreichung wichtiger politischer Ziele kaum mehr ein als eine Pressemitteilung zu publizieren.
- Immer wieder produzieren Verbände mit hohem Aufwand digitale Broschüren oder eBooks, erreichen aber kaum, dass diese in wirklich relevanter Zahl heruntergeladen werden.
Es gibt für solche Schwächen natürlich vielfältige Gründe, die oft schlicht auf bescheidenen Ressourcen beruhen.
Problematische Konstellation: das abgeschlossene Projekt
Ein schwerwiegendes, sehr wesentliches Problem ist aber nach Erfahrung des Verfassers in vielen Fällen eine ungünstige Herangehensweise bezüglich der Aufgaben der Online-Kommunikation: Verbände neigen dazu, ihre Projekt so zu strukturieren, dass sie diese nach getaner Arbeit „abhaken“ können – um sich dann des nächsten Projekts anzunehmen.
Das mag bei dem Versuch, Einfluss auf ein Gesetzesvorhaben zu nehmen, sinnvoll sein. Referentenentwurf, Gesetzesentwurf, erste bis dritte Lesung im Bundestag, Bundesrat, Vermittlungsausschuss – so lauten die typischen Stationen eines Gesetzes. Die letzten Stationen sind dann die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt und das Inkrafttreten. Dann ist die Arbeit des Verbandes in aller Regel getan. Und nach dem Gesetzgebungsverfahren ist vor dem Gesetzgebungsverfahren. Das nächste Projekt wartet also schon.
So funktioniert das aber nicht in der Online-Kommunikation.
Man stelle sich vor, die Verbandswebsite wird relauncht. Sie erhält dabei alle möglichen technischen Voraussetzungen, um Leadgenerierung zu betreiben, um suchmaschinenoptimierte Inhalte zu publizieren und so weiter. Aber die Mitarbeiter in der für Kommunikation zuständigen Abteilung haken das Projekt des Relaunchs zu einem bestimmten Zeitpunkt ab und wenden sich einem anderen Projekt zu, vielleicht einem Podcast oder einer Broschüre.
Die Konsequenzen sind:
- Das während der Planung des Relaunchs erarbeitete verbesserte Vorgehen wird nicht nachhaltig eingeübt.
- Das Wissen, mit dem Neuerungen eingeführt wurden, geht nach und nach wieder verloren.
- Neu eingeführte, wichtige Funktionen im Content-Management-System der Website werden immer seltener genutzt.
- Unbehagen bezüglich der aus dem Blick geratenen Ziele erschwert eine ehrliche und ergebnissoffene Evaluation der Kommunikationsziele.
Dies sind typische Merkmale für Projekte der Online-Kommunikation von Verbänden, die nicht erbringen, was sie sollten, oder gar mehr oder weniger scheitern.
Agiles Arbeiten: Die Lehren aus gescheiterten Software-Projekten
Das Projektmanagement in der Kommunikation von Verbänden kann zweifellos von der Software-Entwicklung lernen. Denn die Geschichte gescheiterter Software-Projekte ist lang. Eines der prominentesten Beispiele ist die Software Robaso, mit der die Bundesagentur für Arbeit zwischen 2010 und 2015 etwa 60 Millionen Euro versenkte.
Bereits im Jahr 2001 hatten sich 17 renommierte Software-Entwickler Gedanken über solche gescheiterten Projekte gemacht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Software mit einer völlig anderen Vorgehensweise entwickelt werden sollte und legten dafür Regeln in einem sogenannten Agilen Manifest nieder.
Das Agile Manifest begründete seinerzeit gleichsam einen Trend zum Agilen Arbeiten, der sich mittlerweile nicht mehr allein auf Software-Entwicklung beschränkt. Die Leitsätze und Prinzipien des Agilen Manifests determinieren sowohl eine neuartige Auffassung von Projektmanagement als auch von Organisationsmanagement, die beide auch außerhalb der Software-Entwicklung angewendet werden. So arbeiten der niederländische Pflegedienst Buurtzorg, der chinesische Küchengerätehersteller Haier oder die Telekom heute mit Prinzipien der agilen Arbeitsweise.
Als Kernelemente agilen Arbeitens haben sich heute inkrementelle (schrittweise erfolgende) und iterative (immer wieder neu beginnende und sich dabei ständig optimierende) Arbeitsschritte herauskristallisert, die durch sich selbst organisierende Teams abgewickelt werden. Wichtigstes Ziel ist dabei, dass jederzeit auf veränderte Rahmenbedingungen eingegangen werden kann. Die Frage, ob das Projektziel auf dem eingeschlagenen Weg erreicht werden kann, wird also ständig neu gestellt – und nicht nur einmal zu Beginn des Projekts.
Agiler Ansatz in der Verbandskommunikation
Die Prinzipien des Agilen Arbeitens könnten in der Verbandskommunikation etwa so aussehen: Kleine Teams, die etwa aus einem Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung, einem versierten Marketing-Experten, einem politischen Strategen des Verbands und einem Webentwickler bestehen würden, könnten sich jeweils einem Verbandsziel widmen. Sie könnten gemeinsam immer wieder erneut evaluieren, wo der Verband steht. Sie könnten dann gemeinsam Schritte beschließen, mit denen eine Optimierung zu erreichen wäre. Und nach deren Umsetzung würde erneut eine Evaluierung vorgenommen werden, die in neue Maßnahmen münden könnte – iterativ und inkrementell eben.
Ein solches Team, in dem ein SEO-Experte Mitglied wäre, könnte kontinuierlich daran arbeiten, dass der Verband mit den Suchbegriffen zu einschlägigen Kernthemen ganz oben bei Google stehen. Das Team würde eine Suchwortliste führen und das Suchmaschinen-Ranking für alle Begriffe monitoren – und immer wieder Inhalte der Website optimieren. Es würde außerdem Strategien implementieren und iterativ optimieren, die zu einer steigenden Anzahl Hyperlinks führen, welche von anderen Websites auf die Verbandswebsite gesetzt werden (mit bekanntermaßen positiven Folgen für das Suchmaschinen-Ranking).
Ein anderes Team mit einem Marketing-Spezialisten könnte die Website darauf ausrichten, dass der oder die Verbandsnewsletter viele Abonnenten finden und dass Broschüren möglichst oft heruntergeladen werden. Das Team würde Use Cases für verschiedene Zielgruppen und Anwendungsfälle entwickeln und durch A/B-Tests eine immer optimalere Gestaltung der Website erreichen.
Ein weiteres Team mit Social-Media-Expertise würde daran arbeiten, dem Verband maximale Sichtbarkeit in Sozialen Medien zu bescheren. Zugleich würde das Team sich um die Generierung von Leads kümmern. Die Formate der Social-Media-Posts würden in einem iterativen und inkrementellen Prozess immer weiter verbessert, um Sichtbarkeit und Lead-Generierung immer weiter voranzutreiben.
Ein Team würde sich um Mitgliedergewinnung kümmern und vielleicht an einer immer wirkungsvolleren Zusammenarbeit von Online-Redaktion und Event-Planung arbeiten.
Ein Team schließlich würde sich des Campaignings annehmen. Es würde dafür an einige andere Teams Anforderungen stellen, etwa an diejenigen, die an der Lead-Generierung arbeiten. Das Campaigning-Team würde Möglichkeiten beispielsweise dafür schaffen, die Öffentlichkeit zu informieren oder bestimmte Zielgruppen für politische Aktionen zu mobilisieren.
Organisationsprinzipien statt Strukturen
Die zuvor genannten Teams sind beispielhaft dargestellt. Sie könnten auch andere Zusammensetzungen oder Aufgaben haben. Entscheidend wären aber folgende Organisationsprinzipien, die formale Strukturen einer Verbandsgeschäftsstelle ersetzen:
- Teams sind interdisziplinär und interprofessionell als Querschnitt des Verbands zusammengesetzt. Sie umfassen strategisch Verantwortliche, fachlich Involvierte und Vertreter aller weiteren Bereiche eines Verbands oder seiner Dienstleister, die logistische oder technische Unterstützung leisten.
- Teams erhalten als Aufgabenstellung nur die allgemeinen strategischen Verbandsziele vorgegeben, die sich aus einer wirkungsvollen Interessenvertretung ableiten. Sie konstituieren sich daraufhin so, dass sie in ihrer Zusammensetzung einen Querschnitt durch die Abteilungen des Verband darstellen, die an der Zielerreichung arbeiten. Gegebenenfalls bedeutet das, dass sich Teams neu bilden oder auflösen oder in der Zusammensetzung ändern können.
- Die Teams entwickeln ein Instrumentarium, um die Zielerreichung sowie die Erreichung dafür notwendiger Teilziele detailliert zu evaluieren. Die Evaluation wird regelmäßig durchgeführt.
- Die Teams arbeiten inkrementell. Das heißt, sie setzen sich bestimmte Aufgaben, deren Erreichungsgrad in einem überschaubaren Zeitraum messbar ist. Nach Abschluss einer Aufgabe evaluieren sie und analysieren, welche Optimierungen künftig erforderlich sind.
- Die Teams arbeiten iterativ. Das heißt, sie definieren nach einer Evaluation ihre Aufgaben gegebenenfalls neu – und zwar konkreter, gezielter oder anspruchsvoller.
- Die Teams arbeiten selbst organisierend, berichten aber regelmäßig an die Geschäftsführung.
Ein solches Vorgehen würde sicherstellen, dass bestimmte – eigentlich extrem wichtige – Aufgabenstellungen der Verbandskommunikation nicht immer wieder aus dem Blickfeld geraten. Stattdessen würde sich der Verband im Hinblick auf seine Aufgaben der Interessenvertretung kontinuierlich verbessern – inkrementell und iterativ.
Diplom-Politologe, Strategieberater, Informationsarchitekt, Projektmanager, Speaker und Coach im Bereich der Politischen Online-Kommunikation – vor allem für Verbände und andere politische Institutionen. Website: www.politik-und-internet.de